"Rhombusringe und Rosenholz" - Bärbel
Bärbel über ihre Kinder und Enkel
Das mag ich, das will ich! Leistung und Risiko! Ich habe das an meine Kinder vererbt. Veronika Fischers Song über den
sechseckigen Kristall mit fraktaler Geometrie ist wunderschön und lyrisch, sie wollten anders werden. Sie haben das hoffentlich
an meine Enkel weitergegeben.
Bärbel über sich selbst
Ich bin eine Cis-Frau, geworden wie geboren, innen und außen, 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche!
Ich bin nicht Jana Hensels weinerliches Zonenkind, das leise die Party mit gesenktem Kopf verlässt,...
Es vergingen nur wenige Augenblicke und ein paar Schritte Anlauf. Ich sprang aus meinem alten Leben und landete mit Peter
gemeinsam in unserem neuen.
Ich höre einen Song, wunderschön, der Sänger gefällt mir, er gibt mir noch mehr Ruhe. Ich igle mich ein, in meine ganz kleine,
ganz zerbrechliche, ganz heile Welt. Der Sänger singt von einem großen, sanften Tier. Es umfasst mich, es schützt mich.
Ich brauche den Song – Nie zuvor.
Ich spüre etwas unter den Füßen – es geht ein Riss durch die Bühne.
„Ich komme mir vor, als sei ich in den 80ern, als würde ich dem BGLer und dem Parteisekretär gegenübersitzen und muss auf Linie
gebracht werden.“
Bärbel im Wahn
Alles um mich ist plötzlich anders; bekannt und trotzdem fremd. Ich laufe wie hinter einer Glaswand und in Watte gepackt. Der
Boden unter meinen Füßen ist nicht real. Ich reite im Stadion auf dem Drachen. Ich habe Angst, was ist mit mir passiert?
Ich liebe dieses Intro. Irgendwo zwischen Heavymetal und Rock, irgendwo zwischen Rammstein und Renft. Ich kralle meine Hand um
das Mikro. Es hat Dornen, die rasierklingenscharf in die Haut meiner Hand schneiden und tief in das Fleisch eindringen. Blut
läuft über meine Hand auf die Bühne. Jetzt – der Text geht los. Ich muss schreien.
Bärbel und die Zukunft
"... Und denkt immer daran, dem Mutigen gehört die Welt und Zukunft ist immer.“
Ich nehme das Mikro in die linke Hand, strecke diese weit von mir, fasse mit der rechten auf meine Brust, da wo mein Herz
ist – links. Ich verbeuge mich vor dem Publikum und spüre Hände auf meinem Rücken – ich habe alles richtig gemacht; im Leben
und in Wien. Warum auf keiner Bühne in Dresden, Leipzig oder Köln?
Bärbel und Anja
Das gibt es nicht, die Mineralwasserflasche rutscht aus meiner Hand und poltert auf den Boden. Die Kaffeetasse umklammere ich
mit festem Griff. Ich schaue in Anjas Gesicht, nein, ich schaue in etwas, das meinem Spiegelbild sehr nahe kommt.
Unsere Finger greifen noch tiefer und fester zu. Wir haben Angst die Andere zu verlieren. Die Körperspannung wird unerträglich.
Wir beginnen zu zittern, nicht, weil uns kalt ist. Der Drummer wuchtet den Beat in meinen Bauch, die Band rockt düster in meinen
Ohren und die tiefe Stimme des Grafen zieht mich in den Bann.
Eine von uns muss jetzt reden. Ich halte das Gefühlschaos nur noch ein paar Augenblicke aus. Der Graf zählt mit dem Publikum
hinunter bis auf eins.
Wir lassen uns los, gehen zum Grabstein und legen unsere Hände darauf. Sie berühren sich und meine Finger liegen auf Anjas
Hand. Mein Ringfinger berührt ihren Rhombusring. Wir schauen uns erschrocken an. Durch meinen Körper geht ein Kribbeln.
Anja stellt das Glas ab. Ihr Gesicht wird bleich. Ihre Hände zittern.
„Die alten Männer“, sie bricht ab. Ich bin erschrocken. Ich greife nach ihrer Schulter.
„Anja!“, schreie ich.
„Die alten Männer, die alten Männer!“
„Anja!“ schreie ich lauter.
Bärbel und ihre Vergangenheit
Was ist das? Träume ich? Ich stehe auf, den Brief in der Hand, und gehe zur Balkontür.
...
Der Brief liegt neben mir. Noch einmal lese ich die Zeilen. Warum steht Peter nicht neben mir? Warum muss er seine scheiß
Teilchen beschleunigen, um den Urknall zu finden? Wem interessiert das? Was ist in den 80ern passiert?
Auf dem High Line in New York sind die Touristen unterwegs. Sie schauen neugierig auf das Paar, dass den Aufforderungen des
Fotografen Folge leistet und zücken ihre Smartphones. Sie in roten High Heels, zerrissenen Jeans und weißem, bauchfreien Top;
er in gleichen Jeans, lässig mit Hemd und barfuß. Seine Hände fassen nach ihr, eindeutig. Das Wasser unter den High Heels und
seinen Füßen gibt der Szene etwas Besonders, Einmaliges und wird für die Ewigkeit festgehalten.
Ich ändere meinen Plan für die nächste Wanderung in der Sächsische Schweiz. Ich entscheide mich für die Sommerwand. Entweder
geht dort alles schief oder ich gewinne alles. Nur Peter lasse ich es noch nicht wissen.